Samstag, 28. Februar 1998

28. Februar

„Das ist echt gut, was du da machst. Paß auf seine Beine auf, er klammert sich damit gerne fest.“
Seltsamerweise waren da weder Werner noch Dimitri in der Ecke sondern Nils. Nils als Coach. Alles ist verrückt. Ich hatte tatsächlich die erste Runde gegen Benji gewonnen, ich konnte es gar nicht glauben. Ich hatte das gemacht, was ich am besten konnte: Mit maximaler Kraft schnell sein. Doch leider verlor ich die zweite und die dritte Runde. Aber irgendwie war ich doch zufrieden. Zum ersten Mal merkte ich, dass ich auch gegen so jemanden wie Benji gewinnen konnte. Irgendwie. Es war jedenfalls nicht unmöglich.
Er kam nach dem Kampf zu mir: „Du bist richtig gut geworden.“
„Danke.“
„Ehrlich, ein paar Mal wußte ich echt nicht, was ich machen sollte. Wenn du jetzt noch an deinerTechnik arbeitest...“
„Wie jetzt?“
„Du machst zu viel mit Kraft.“ Er zog mich von den anderen weg. „Auch wenn ich das jetzt vielleicht nicht sagen sollte, denn du bist ja immerhin in meiner Gewichtsklasse und wir werden bestimmt noch ein paar Mal gegeneinander antreten. Aber ich meine das ehrlich: Versuche mal mehr mit Technik zu machen. Dann brauchst du nicht so viel über Kraft zu ringen.“
Ich nickte. Er hatte Recht, ich versuche immer, das was mir an Technik fehlt durch Kraft auszugleichen.
„Wir sehen uns beim Pizzaessen.“ Er zottelte zu seinen Leuten. Irgendwie mag ich ihn. Er ist lustig, fröhlich, immer gut drauf, alle Leute in seinem Verein scheinen ihn zu mögen. Ich glaube, ich wäre gerne so ein bißchen wie er.

Beim Pizzaessen? Wieso? Nils kam auf mich zu: „Wir machen heute das Pizzabuffet hier zusammen mit den Jungs von Degendorf. In einer halben Stunde im Saal.“
Nicht dass ich nicht tierischen Hunger gehabt hätte. Aber ich guckte auf die Uhr an der Wand. Schon nach sieben. Pizza essen, vielleicht zwei Stunden, dann ist es neun, halb zehn. Anfahrt um zehn, in Bergbach um elf. Toll, ganz toll. Mein Geburtstag irgendwo auf dem Weg von unserem Vereinsheim zu mir nach Hause. Ein toller achtzehnter Geburstag.

Ich habe mir den Bauch vollgeschlagen. So viel Pizza habe ich schon lange nicht mehr in mich hineingeschaufelt. Irgend jemand hatte wieder einmal heimlich Bier organisiert. Ich weiß nicht, ob die Trainer und Betreuer das wirklich nicht mitkriegen oder nicht mitkriegen wollen.

So langsam driftete ich weg. Das Essen, das Bier, vielleicht auch die Tabletten, der Streß des Wettkampfs fiel von mir ab. Ich setzte mich auf den Heizungssims und schaute mir die Szene an: Zwei Mannschaften, die eben noch gegeneinander um Punkte gekämpft hatten qutschten, feierten und tranken zusammen. Dazwischen Freunde, sogar Mädels, Trainer, Betreuer und ein paar Eltern. Nils schien Dimitri irgendeinen Griff mit weit ausholeden Armbewegungen zu erklären, ein türkischer Vater versuchte heftig gestikulierend dem Trainer der Degendorfer irgend etwas klar zu machen. Neben ihn stand ein dürres Degendprfer Mädel und versuchte Silvio anzubaggern, der gelangweilt auf sein Bier starrte.
Flo kam auf mich zu: „Na, wir spielen wohl wieder Einzelschicksal, was?“
„Ich male gerade ein Bild.“
„Was?“
„In meinem Kopf.“
„Ach so?“ Er setzte sich neben mich und schaute sich die Szene genau so wie ich an.
„Schon verrückt das Ganze.“
„Nicht verrückt“, sagte er, „ganz normal. Willst du noch ein Stück Salami-Piz...“
„Wenn ich auch nur noch ein Stück Pizza sehe, dann sterbe ich.“
„Ich wollte mich noch mal bedanken. Wegen der Sche mit Ina.“
Ich schloß die Augen und schüttelte mit dem Kopf: „Schon ok, wenn es was gebracht hat, freue ich mich.“
Er boxte mich leicht auf den Arm. Ich glaube, das ist die Art, wie Hetero-Jungs sich bedaken.
Nils kam zu uns: „Wir fahren los. Wollt ihr noch Pizza mitnehmen.“
„Nein!“ schrien Flo und ich.
Nils grinste.

Im Bus zurück. Ich weiß gar nicht, wie spät es ist. Aber eigentlich ist es egal. Es war ein schöner Abend, ein schöner Tag. Ich schreibe Tagebuch. Neben mir Nils, halb eingeschlafen. Sein Knie an meinem. Ich schaue mich um, wir sitzen in der letzten Reihe, niemand, der uns sehen könnte. Ein rascher Kuß, er lächelt: „Du bist verrückt“, murmelt er.

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